Lange Zeit galt in der Fahrzeugentwicklung das Credo schneller, höher, weiter als unumstößliche Vorgabe. Schnellere Beschleunigung, mehr Höchstgeschwindigkeit, mehr Komfort und viele weitere Vorgaben kamen ins Lastenheft. Ohne diese Attitüde hätten wir heute niemals eine solche Verarbeitungsgüte und, platt gesagt, so gute Autos. Rein objektiv ist es doch toll, dass ein Porsche 718 Cayman in jeder Disziplin besser und schneller ist, als ein Porsche 930 Turbo 3.3 mit WLS. So geht Fortschritt. Aber ist das wirklich so toll? Macht mehr Leistung auch mehr Spaß? Und woher kommen wir eigentlich?
Macht mehr Leistung auch mehr Spaß? Und woher kommen wir eigentlich?
Um zunächst das Entwicklungstempo und die schieren Zahlen zu begreifen, nehmen wir den Porsche 356 pre-A als Ausgangspunkt. 1950 leistete er 40 PS und war damit bis zu 140 km/h schnell. Die 830 kg Leergewicht beschleunigten in 23,5 Sekunden von 0-100 km/h. Der Verbrauch lag bei moderaten 7 bis 9 Liter/100 km. Bevor der 356 durch den Porsche 901 abgelöst wurde, erreichte er bereits 1962 als 2000 GS mehr als dreimal so viel Leistung, nämlich 130 PS.
Beim Sprung in die 70er kommt man unweigerlich auf den Porsche 911 Carrera RS 2.7. Das Homologationsmodell auf F-Basis mit Entenbürzel leistete 210 PS aus einem sehr drehfreudigen 2,7 Liter Aggregat. Die – je nach Ausführung – 975 bis 1.075 kg katapultiert er in 5,9 Sekunden auf 100 km/h und schafft 245 km/h Spitze. Wir verzeichnen also 525% mehr Leistung und eine um 75% verkürzte Zeit für den Standardsprint. Ganz nebenbei gilt der RS 2.7 als eines der erstrebenswertesten Autos der Welt. Und das hat eher mit Stückzahlen und Empfindungen als reinen Fahrleistungen zu tun.
1978 fiel mit dem Porsche 911 Turbo 3.3 (930) erstmals die 300 PS Marke. Macht 7,5 mal mehr Leistung als noch 30 Jahre zuvor. Doch – und hier beginnt es, spannend zu werden – die Fahrleistungen profitierten nicht mehr in gleichem Maße. Verglichen mit dem Carrera RS 2.7 sprechen wir von 90 PS Mehrleistung, aber „nur“ 15 km/h mehr Höchstgeschwindigkeit. Auch die Beschleunigung liegt mit 5,2 Sekunden von null auf hundert gar nicht weit auseinander.
1978 fiel mit dem Porsche 911 Turbo 3.3 (930) erstmals die 300 PS Marke. Macht 7,5 mal mehr Leistung als noch 30 Jahre zuvor.
Warum das so ist? Die Antwort finden wir in der Physik. Der Verlauf der Kurve für die benötigte Leistung zum Erreichen von mehr Höchstgeschwindigkeit verläuft exponentiell. Allein um die unfassbaren Luftmengen zu verdrängen braucht es, trotz sehr windschlüpfriger Karosse, eine Menge Leistung. Die Kraftübertragung ist wegen der begrenzten Auflagefläche der Reifen auch endlich. Der Bugatti Veyron zum Beispiel schaffte es mit seinen 1.001 PS auf 407 km/h Höchstgeschwindigkeit. Der Veyron Super Sport mit 1.200 PS war trotz 200 PS mehr gerade mal 24 km/h schneller. In der Beschleunigung von von 0-100 km/h machten die 200 PS, also etwa die Leistung eines 986 Boxster 2.5, keinen Unterschied. Beide brauchten 2,5 Sekunden.
Die reinen Leistungsdaten sind oft nur die halbe Wahrheit. Die Fahrt im 400 PS starken Porsche 991 Carrera S bringt zweifelsohne Spaß. Aber ist sie aufregender ist als im RS 2.7? Wohl kaum. Doch woran liegt das? Es hat sicherlich etwas mit der Beliebigkeit der Fahrleistungen zu tun. Heutzutage liegen alle Supersportwagen um und bei 3 Sekunden auf 100 km/h und laufen weit über 320 km/h Spitze. Ende der 90er waren die Zahlen allein schon wegen der Partie Auto Quartett interessant und viele kennen sicherlich noch die Leistungsdaten ihrer Kindheitsträume.
Aber heute? Selbst Kompaktsportler schaffen den Standardsprint in unter 4 Sekunden. Es geht also viel mehr um die Art und Weise, wie die Leistung auf die Straße kommt. Wie hart muss ich arbeiten, um das Beste herauszuholen? Wie breit ist der Grenzbereich? Lässt das Auto sich spielerisch bewegen? Wie leicht lässt sich ein kleiner Rutscher einleiten? Kann ich den Sound legal auskosten? Nach jahrelanger Rekordjagd sind diese Fragen mehr denn je aktuell. Nur sind die Antworten darauf nicht messbar. Aber das ist nicht schlimm. Sportwagen kauft man eben nicht aus rationalen Gründen.
Wir wollen hier in keiner Weise den Charme eines potenten Supersportwagens in Frage stellen.
Wir wollen hier in keiner Weise den Charme eines potenten Supersportwagens in Frage stellen. Ein Auto, dessen Leistung einem nicht nur Respekt, sondern Angst abnötigt, hat zweifelsohne seinen ganz besonderen Reiz. Vielmehr wollen wir jedoch ein Loblied anstimmen. Denn es braucht nicht immer mehr Leistung oder das Topmodell einer Baureihe. Die oft stiefmütterlich behandelten Einstiegsmodelle sind gerade bei Porsche oft Garanten für unverblümten Fahrspaß. Sie sind für Menschen, deren Nachname nicht Röhrl oder Stuck heißt, leichter im Grenzbereich auszukosten und auch ihre Preise sind nicht ganz so furchteinflößend.
Gibt es denn einen Punkt, an dem man „genug“ Leistung hat? Das hängt sicherlich vom Einsatzzweck ab. Doch die Freude an Längsdynamik nutzt sich schneller ab als das schräge Grinsen beim forschen Abbiegen im zweiten Gang. Gepaart mit rassigem Klang und leicht schwänzelndem Heck, sind diese Momente doch die, die eine Fahrt zum Erlebnis machen.
Immer ein Garant für Fahrspaß ist hingegen geringes Gewicht. Weniger Masse bedeutet bessere Beschleunigung, weniger Spritverbrauch und vor allem weniger Massenträgheit. Moderne Autos sind zwar unheimlich gut darin, ihr Gewicht zu verbergen, aber ein älteres, leichteres Auto wird sich zumeist spielerischer anfühlen. Natürlich liegt das oft am früher einsetzenden Grenzbereich, also in letzter Instanz schlechteren Fahrleistungen.
Es ist schon etwas dran an der Phrase „Driving a slow car fast is more fun, than driving a fast car slow.“ Auch in der Redaktion haben wir schon oft darüber gesprochen. Ein schmales G-Modell mit dem wunderbar drehfreudigen 2,7 Liter Motor ist auch heute noch ein wahrer Freudenspender. Und das bei 165 PS! Auch ein 986er Boxster mit dem kleinen 2,5 Liter M96 Triebwerk lässt sich bei wunderbarem Soundtrack herrlich ausdrehen.
Der aktuelle Porsche 992 Turbo S hat satte 650 PS. Damit hat er 16,25 mal so viel Leistung wie der 356 pre-A. Macht er deshalb 16,25 mal so viel Spaß? Das sollen andere bewerten. Weniger Leistung ist natürlich nicht gleichbedeutend mit mehr Fahrspaß. Zugegeben, diese Frage war etwas reißerisch. Aber bevor wir uns in Details verlieren oder wieder beim Autoquartett landen, möchten wir zu etwas ganz anderem aufrufen: Fahrt eure Porsches! Wer sich selbst keine Erlebnisse mit seinem Sportwagen schafft, kostet dessen Potenzial auch nicht wirklich aus.
In einer Zeit der Verbote – schon in wenigen Jahren werden kaum noch Verbrenner zugelassen werden können – sollten wir unsere Porsches ganz bewusst erleben. Und gerade Porschefans, die über ihren ersten Zuffenhausener Sportwagen nachdenken, sollten vielleicht nicht zu lang dem persönlichen Ideal hinterherlaufen. Muss es unbedingt der 991 GT3 sein, oder tut es nicht auch ein Carrera? Vielleicht auch ein einfacher 944 mit 150 Pferdchen?
Es geht am Ende des Tages um das Fahrerlebnis, den Spaß an der Sache.
Es geht am Ende des Tages um das Fahrerlebnis, den Spaß an der Sache. Und selbst wenn es vielleicht nicht das absolute Traumauto wird, pfeif doch drauf! Tut euch lieber den Gefallen und fahrt mit dem Wagen in die Berge, ans Meer, oder auf die Rennstrecke. Denn diese Erlebnisse wird euch niemand nehmen können. Einen Kaffee am Gipfel des Großglockners oder dem Pike’s Peak bei Sonnenaufgang vergisst man eben nicht so schnell. Und sein wir mal ehrlich: lieber im 996 die Route des Grandes Alpes befahren, als nie mit dem Sparen auf den 992 Turbo S fertig zu werden.
Titelbild: Ande Votteler
Über den Autor
Richard Lindhorst ist Elferspots Chefredakteur und lebt in Norddeutschland. Sein Leben dreht sich nahezu 24/7 um Autos und Motorräder. Du hast einen Tipp für eine Story oder möchtest einfach mit ihm in Kontakt kommen? Du findest ihn auf Instagram unter @rchrdlndhrst.
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