Historische Rennfahrzeuge haben ihren ganz eigenen Charme. Sie zeigen, was technisch in der jeweiligen Epoche möglich war, tragen oft wilde Lackierungen und zeigen stolz Kampfspuren von Renneinsätzen. Der Porsche 964 Carrera RSR 3.8 nimmt dabei einen ganz besonderen Platz ein. 1993, im Jahr des 30. Geburtstags des Porsche 911, belegten gleich vier RSR 3.8 die ersten vier Plätze beim 24h Rennen am Nürburgring. Außerdem war er der erste Porsche 911, der seit 1984 bei den 24h von Le Mans antrat. Auch dort gingen die ersten vier Plätze der neu aufgelegten GT-Klasse an den RSR. 2024 steht einer von nur 51 dieser RSR zum Verkauf. Bei RM Sotheby’s Monterey Auktion kommt mit dem Porsche 964 Carrera RSR 3.8 Nummer 496090 das Exemplar mit der vermutlich geringsten Laufleistung überhaupt unter den Hammer. Grund genug, uns die Geschichte des RSR nochmal genauer anzusehen.
In der Sportwagen-Weltmeisterschaft der 1980er Jahre war Porsche extrem erfolgreich. Die in zahlreichen Kundenteams eingesetzten Gruppe-C-Rennfahrzeuge vom Typ 956 und 962 verkauften sich allein fast 120 mal. Mit dem Ende dieser Meisterschaft 1992 war Porsches Motorsportabteilung allerdings quasi arbeitslos. Gleichzeitig bestand zu jener Zeit ein direkter Zusammenhang zwischen dem Verkauf von Rennautos und den Absatzzahlen von Serienfahrzeugen. „Wenn die Linie, die den Rennerfolg darstellte, abfiel, taten die Verkaufszahlen ein Jahr später fast genau das Gleiche. Wenn Porsche wieder gewann, stiegen die Verkaufszahlen. Die beiden Linien im Diagramm folgten einander“, berichtete der damalige Chef des Kundensport-Programms, Jürgen Barth.
Um straßentaugliche Sportwagen verkaufen zu können, brauchen wir Erfolge im Rennsport.
Jürgen Barth
Im exzellent recherchierten Buch „Porsche 964 Carrera RS 3.8“ beantwortete Barth die Frage nach Porsches Zukunft im Sport folgendermaßen: „Wir befinden uns in einer wirklich heiklen Lage, was unser Engagement im Motorsport angeht. Im Moment funktioniert es mit unseren Programmen Carrera Cup und Porsche Supercup eigentlich perfekt, aber in Zukunft wird das nicht mehr ausreichen. Genau wie in der Vergangenheit müssen wir als Sportwagenhersteller zu größeren, markenübergreifenden Kategorien zurückkehren. Um straßentaugliche Sportwagen verkaufen zu können, brauchen wir Erfolge im Rennsport.“
Porsche musste nach dem Ende der Sportwagen-Weltmeisterschaft also neue Möglichkeiten finden, im Rennsport erfolgreich zu sein. Idealerweise in einer Motorsportklasse mit seriennahen Fahrzeugen. Über viele Jahre engagierte sich Jürgen Barth deshalb für die Wiedereinführung der GT-Kategorie auf weltweiter Bühne. Gemeinsam mit zahlreichen Herstellern, unter Anderem auch Nissan und Honda, erarbeitete Barth ein Reglement, dem die internationale Motorsportbehörde 1993 zustimmte.
Natürlich hatte Porsches Motorsportabteilung schon vorgearbeitet. Obwohl der 964 damals theoretisch zu Ende entwickelt war, segnete der Vorstand um Arno Bohm und Ulrich Bez das Projekt Porsche 964 Carrera RS/RSR 3.8 bereits 1992 ab. Geplant waren mindestens 50 Straßenfahrzeuge und 50 Rennfahrzeuge, um die FIA-Vorgaben zur Homologation einzuhalten. Der technische Projektleiter Roland Kussmaul erklärte dazu: „Das Ziel war, so viel Rennsport-Technologie im RS 3.8 Straßenauto zu bringen, wie möglich […]“. So sollte der RSR 3.8 die bestmögliche Ausgangsbasis erhalten.
Porsches Rezept für das Design des Porsche 964 Carrera RSR 3.8 war simpel und doch eingängig. In der hauseigenen Fahrzeugbeschreibung steht unter der Überschrift Bodywork an erster Stelle: „Same as Turbo“. Hinzu kam der mittlerweile legendäre Heckflügel, Türen und Fronthaube aus Aluminium, die wunderschönen 18 Zoll Speedline Räder sowie ein Renntank mit 43 Litern für den ADAC Cup bzw. 120 Litern für den Langstreckeneinsatz. Im Inneren waren Schalensitze mit Sechspunkt-Gurten und Überrollkäfig selbstverständlich. Als letzter Porsche Rennwagen mit den großen Torpedo-Kotflügeln ist er längst eine Ikone. Viele 964-Umbauten orientieren sich an seinem Styling.
Während die Karosseriebleche an regulären Porsche 964 Modellen nur punktgeschweißt wurden, erhielten die 964 Carrera RSR durchgängige Schweißnähte, um die Karosseriesteifigkeit zu erhöhen.
Motorseitig fielen die Änderungen zum Carrera oder auch Carrera RS ebenfalls deutlich aus. Im Porsche 964 Carrera RS/RSR 3.8 kam ein neues Kurbelgehäuse mit zwei Millimeter größerer Zylinderbohrung zum Einsatz. So wurde der Hubraum auf 3.746 ccm erweitert. Trotz des größeren Durchmessers waren die Kolben leichter als beim 3,6 Liter Carrera-Motor. Ein völlig neues Ansaugsystem mit Einzeldrosselklappen und eine sequentielle Benzineinspritzung ermöglichten in Kombination mit der neu konstruierten Auspuffanlage deutliche Leistungssprünge. Schon das Straßenmodell Carrera RS 3.8 kam auf 300 PS. Der Rennmotor des RSR lieferte laut konservativer Werksangabe bis zu 350 PS in Le-Mans-Spezifikation.
Das Potenzial des RSR offenbarte sich schon bei seinen ersten Einsätzen. Obwohl Porsche zum Test für die 24h von Le Mans 1993 noch nicht alle Einsatzfahrzeuge fertiggestellt hatte, war der 964 Carrera RSR 3.8 direkt ein Volltreffer. Er gewann im ersten Jahr mit dem Klassensieg bei den 24h von Le Mans, sowie Gesamtsiegen bei den 24h vom Nürburgring und den 24h von Spa bei allen großen Langstreckenrennen der Saison.
Der nun bei RM Sotheby’s Monterey Auktion angebotene Porsche 964 Carrera RSR 3.8 mit der Fahrgestellnummer WP0ZZZ96ZPS496090 ist in vielerlei Hinsicht besonders. Das beginnt bereits bei der Farbwahl. Denn neben einem Prototypen gab es nur zwei weitere RSR, die Indischrot lackiert wurden. #496090 ist einer davon. Der andere indischrote RSR ging in den USA von 1994 bis 1998 bei zahlreichen Rennen an den Start und trug die Nummer 496095.
Mit Ausnahme eines neuen FIA-zertifizierten Benzintanks ist der gesamte RSR 3.8 in Originalzustand.
RSR #496090 wurde in Langstrecken-Spezifikation gebaut. Das bedeutet, der Porsche 964 Carrera RSR 3.8 verfügt über die Motorausrüstung in Spezifikation „Le Mans“, einen 120 Liter fassenden Tank und eine Getriebe-Abstimmung für bis zu 300 km/h Höchstgeschwindigkeit. Bestellt wurde er von einem gewissen Herrn Walter Scheuermann aus Memmingen, der dem Vernehmen nach mehrere RS und RSR 3.8 orderte.
Walter Scheuermann verfügte über gute Kontakte nach Japan. Dorthin verkaufte er den Porsche Carrera RSR 3.8 Nummer 496090. Der seltene Rennwagen war dort knapp zwei Jahrzehnte Teil einer Sammlung. 2013 reiste der Wagen in die USA und blieb seitdem bei seinem jetzigen Eigentümer. Auf einer Rennstrecke kam er nie zum Einsatz. Stattdessen glänzt der RSR noch heute in Neuwagenzustand. Sein Tacho zeigt gerade mal 39 (!) Kilometer. Daher zählt er neben einem Porsche 964 Turbo S Leichtbau und einem 959 Prototyp sicherlich zu den spannendsten Porsche-Exponaten der RM Sotheby’s Monterey Auktion am 16. und 17. August 2024.
Ein mehr als drei Jahrzehnte altes Auto in Neuwagenzustand ist für sich genommen schon eine Sensation. Jürgen Barth geht davon aus, dass es sich um den 964 RSR mit der niedrigsten Laufleistung überhaupt handelt. Doch er ist nicht nur eine rollende Zeitkapsel. Dank eines umfangreichen Services für etwa 40.000 US-Dollar ist er nämlich fahrbereit und sogar straßenzugelassen! Er verfügt über einen regulären amerikanischen Title und eine Zulassung.
Der bei RM Sotheby’s angebotene Porsche 964 Carrera RSR mit Fahrgestellnummer WP0ZZZ96ZPS496090 ist die straßenzugelassene Version eines Le-Mans-Klassensiegers!
Dementsprechend hoch ist auch sein Schätzpreis. Die Experten von RM Sotheby’s gehen von 1,25 bis 1,5 Millionen US-Dollar aus. Ob der künftige Besitzer des vermutlich einzig verbliebenen neuwertigen Porsche 964 Carrera RSR 3.8 diesen tatsächlich auf der Straße einsetzen wird? Auch wenn wir große Fans davon sind, diese Autos ihres Zwecks entsprechend zu nutzen, ist dieser RSR vermutlich ein zu wichtiges Zeugnis der Motorsportgeschichte.
So oder so, allein der Anblick lässt einem die Kinnlade herunterfallen. Innenraum, Lack, Motorraum, Felgen… alles glänzt wie neu. Der einzige Hinweis auf das mittlerweile gehobene Fahrzeugalter ist die Aluminium-Oxidation des Gehäuses der Bosch Motronic. Davon ab ist dieser RSR die vermutlich letzte Möglichkeit, das Gefühl der Werksauslieferung eines neuen luftgekühlten Rennwagens nachzuempfinden. Eine solche Gelegenheit gibt es selten. Wir werden mit Argusaugen verfolgen, wo das Höchstgebot bei der Monterey Auktion am Ende liegen wird.
© Bilder: Matthew Jones, RM Sotheby’s
Elferspot Magazin