Offiziell gab es in Porsches langer und ruhmreicher Geschichte noch nie einen RS mit Allradantrieb. Doch der Porsche 964 Carrera 4 Leichtbau kam dem verdächtig nahe. Als Herzensprojekt des damaligen Leiters von Porsches Kundensportabteilung, Jürgen Barth, entstand unter diesem Namen ein einmaliges Modell. Doch was genau steckt im super-seltenen Allrad-Sportler? Und warum blieben es nur so wenig?
Es klingt aus heutiger Sicht grotesk, doch Ende der 80er Jahre hatte Porsches Kundensportabteilung nicht genug Arbeit für die Entwicklungsingenieure. Jürgen Barths Mitarbeiter kümmerten sich noch um die letzten Porsche 944 Turbo S und hatten ansonsten nichts zu tun. Denn Porsche hatte den 964 anfangs nur mit Allradantrieb im Angebot. Diese Konfiguration ließ sich aber in keiner Rennklasse unterbringen. Dazu war erst der spätere Carrera 2 und sein RS-Geschwisterteil vorgesehen.
Um mit seiner Mannschaft trotzdem Erfahrung mit der neuen Plattform zu verschaffen, orderte Barth einige 964 Carrera 4 Rohkarossen und ließ ‚drauf los entwickeln. Da es keinen wirklichen Einsatzzweck gab, mussten sich die Weissacher Ingenieure auch an kein Reglement halten. Die Karosserien wurden versteift – möglicherweise in ähnlicher Weise wie später beim RS mittels zusätzlicher Schweißpunkte. In die leeren Karosserien kam dann ein Aluminium-Überrollkäfig. Außerdem erhielten alle Leichtbau-964 einen zusätzlichen Öleinfüllstutzen hinten rechts, wie es von den Ölklappen-Modellen der frühen 70er bekannt war.
Die extreme Diät betraf auch die Außenhaut. Am Porsche 964 Carrera 4 Leichtbau kamen eine Fronthaube aus Aluminium und ein Heckdeckel mit festem Spoiler aus Fiberglas zum Einsatz. Die Räder waren aus Magnesium. Innen gab es außer Sitzen und Lenkrad herzlich wenig zu bestaunen. Hier gab es weder Dachhimmel, noch Sonnenblenden oder Teppiche. In den spartanischen Türverkleidungen, die übrigens später im Carrera RS verwandt wurden, waren nicht mal Fensterkurbeln. Denn die Aluminiumtüren hatten Plexiglas-Schiebefenster und brauchten keine Fensterheber. Die Gewichtseinsparungen umfassten auch den Wegfall des Modellschriftzugs und einen Sticker als Wappen auf der Fronthaube. Das Erbenis: 1.095 Kilogramm Leergewicht – 355 Kilogramm weniger als ein Carrera 4 und 125 kg weniger als ein 964 Carrera RS!
Im Innenraum des Porsche 964 Carrera 4 Leichtbau gibt es viel blankes Blech und einen Überrollkäfig. Die Verstellrädchen dienten der Kraftverteilung des Allradantriebs. © Porsche Zentrum Zürich
Doch dabei blieb es nicht. An der MIttelkonsole stechen zwei Verstellrädchen ins Auge. Sie sind ein Indiz für das, was unter der Haube des Allradlers steckt. Denn der Allradantrieb stammt nicht aus dem 964, sondern aus dem Dakar-Renner Porsche 953. Die Rallye-erprobte Technik enthielt manuell verstellbare Differenziale. Dazu gehörten die besagten Drehregler. Mit ihnen ließ sich die Antriebskraft sowohl zwischen Vorder- und Hinterachse reuglieren, als auch zwischen linker und rechter Fahrzeugseite.
Die Entscheidung zugunsten der Allradtechnik des 953 war allerdings eher von Pragmatismus getrieben, was auch die eigenwillig kurze Getriebeabstufung – bei 200 km/h war der 5. Gang zu Ende – erklärt. Denn es handelte sich schlichtweg um Restbestände des 1984 siegreichen Dakar-Projekts. Auch die Bremsen stammten nicht vom Basis-Fahrzeug, sondern vomTurbo. Eine Handbremse fehlte gänzlich, weshalb der Leichtbau in Deutschland nicht zulassungsfähig war. Es gab nur einen Sperrhebel für die hinteren Bremsen. Das Fahrwerk war zudem satte fünf Zentimeter tiefer als im Carrera 4 und erhielt vorn fünffach, hinten dreifach verstellbare Stabilisatoren. Mit einem Carrera 4 hatte dieses Teile-Potpourri am Ende wenig zu tun.
Die Motoren basierten allerdings noch auf dem regulären 964-Antrieb. Jedoch wurden die Triebwerke in Weissach von Hand montiert. Durch die offene Auspuffanlage ohne Katalysatoren und einen deutlich abgespeckten Riementrieb soll die Leistung die angegebenen 265 PS allerdings bei weitem überstiegen haben. Die Rede ist – natürlich inoffiziell – vielmehr von etwa 300 PS. In Anbetracht der herausragenden Beschleunigungswerte scheint der Wert glaubhaft. Durch das extrem kurz übersetzte 5-Gang-Getriebe schaffte der Leichtbau-Elfer den Sprint auf 100 km/h in gut vier Sekunden.
Die offizielle Leistungsangabe von 265 PS sollen die Motoren im Leichtbau-964 deutlich übertroffen haben. Vor dem Schalthebel des extrem kurz übersetzten 5-Gang-Getriebes ist kein Handbremshebel, sondern nur eine manuelle Sperre der Bremse. © Differs Group & Porsche Zentrum Zürich
Die Idee zum Leichtbau-Carrera soll Jürgen Barth auf Bitten eines ihm bekannten Kunden aus den USA gekommen sein. Und obwohl der Porsche 964 Carrera 4 Leichtbau nie für Renneinsätze homologiert werden sollte und stolze 285.000 DM kostete – mehr als doppelt so viel wie ein regulärer Carrera 4 – soll Barth um die 50 Bestellungen gehabt haben. Am Ende blieben es nur 22 produzierte Exemplare von 1990 bis 1992. Warum nur so wenige? Der Grund ist ebenso pragmatisch: Es habe schlicht nicht genügend Teile für mehr gegeben.
Nüchtern betrachtet, war Jürgen Barths Kreation also eine Fingerübung ohne echten Einsatzzweck. Die Fahrzeuge hatten nicht mal eine klassische FIN, sondern nur eine sechsstellige Fahrgestellnummer. Das heißt im Umkehrschluss, dass eine Straßenzulassung nur in einigen wenigen Ländern der Welt überhaupt möglich war. Ganz zu schweigen von den übrigen Zulassungs- und Lärmvorschriften. Und in einer Rennklasse ließ sich der fliegengewichtige Allrad-964 auch nicht einschreiben.
Daher gingen die allermeisten Fahrzeuge an Sammler in den USA, Japan und Großbritannien. Nur die wenigsten haben nennenswerte Laufleistungen. Jedes Mal, wenn einer der 22 Porsche 964 Carrera 4 Leichtbau auf den Markt kommt, sorgt das für erhöhte Alarmbereitschaft in der Porsche-Welt. Schließlich steht diese Geschichte beispielhaft für viele Porsche-Produkte dieser Zeit. Der Ansatz, sich im Teileregal zu bedienen und einfach zu machen, brachte schließlich viele spannende Modelle zu Tage. Wenn man so will, sogar Porsches ersten Supersportwagen des 21. Jahrhunderts, den Porsche Carrera GT.
Elferspot Magazin