Wer sich etwas intensiver mit dem Thema Porsche beschäftigt, kommt an seinem Namen kaum vorbei: Norbert Singer. Sich selbst sah er ganz bescheiden als Renningenieur mit einer Passion für die Arbeit an Fahrzeugen. Dabei war er gemeinsam mit Hans Mezger eine der Hauptverantwortlichen in Porsches erfolgreichster Rennsportepoche. Gemeinsam mit Wilfried Müller erzählt Norbert Singer im Buch Porsche Rennsport 1970 – 2004 die spannendsten Geschichten aus über drei Jahrzehnten Motorsport im Dienste Porsches.
Das Buch kommt schlicht und ohne viel Lametta als dunkelblaues Hardcover mit Schutzumschlag daher. Denkt man an Singer, hat der Sport Fahrer Verlag hier das passende Layout gewählt. Geradeaus, verbindlich, geradlinig, ohne sich selbst zu ernst zu nehmen. In den insgesamt 16 Kapiteln reist man gemeinsam mit Norbert Singer durch seine gesamte Porsche Rennsportkarriere, angefangen bei der Karriereentscheidung pro Automobil und gegen die Raumfahrt.
Zwei langjährige Weggefährten Singers – Jacky Ickx und Jochen Mass – ließen es sich nicht nehmen, ein Grußwort zur Einleitung zu schreiben. Sie begleiteten Norbert Singers Langstreckenkarriere und erlebten gemeinsam unzählige Erfolge. Durch ihren Einsatz hatten sie maßgeblichen Anteil an Porsches Rekorden in Le Mans, Daytona und weiteren Langstreckenrennen.
Es handelt sich um eine chronologische Aufarbeitung des Wirkens von Norbert Singer bei Porsche. Daher ist auch klar, dass Singer konstruktive Details der Fahrzeuge in seiner unnachahmlichen Art beschreibt. Man hört dem Ingenieur der Luft- und Raumfahrt sowie Kraftfahrzeugtechnik beim Lesen förmlich zu. Natürlich hilft technisches Grundverständnis, da Singer die Dinge zwar nicht ausschweifend, aber eben so detailliert wie nötig beschreibt. In den angenehm kurzweiligen Abschnitten werden die wichtigsten Abschnitte aus Singers Karriere im Rennsport behandelt.
Wie ein roter Faden ziehen sich dabei tolle Fotos, zum Teil aus Singers privatem Archiv, durch das 360 Seiten umfassende Buch. Die Illustrationen zeigen eine Menge Arbeit im Windtunnel der Stuttgarter Universität – sonst nur wenigen Auserlesenen vorbehalten. Doch auch von den Tests in Paul Ricard, auf dem Weissacher Skidpad und den Renneinsätzen sind viele Aufnahmen dabei. Die teils ganz- oder gar doppelseitig gedruckten Bilder lockern das Buch auf und machen Norbert Singers Berichte nachvollziehbarer.
Das Spannendste an Biografien sind ja meist die kleinen Geschichten am Rande, statt der großen Schlagzeilen, die man ohnehin kennt. Genau so ist es auch in der Edition Porsche Museum von Norbert Singers und Wilfried Müllers Porsche Rennsport 1970-2004. Angefangen bei der herrlich stereotypen Geschichte zu Ferraris Tankanlage am Nürburgring 1971. Singer war stolz auf ein im Hause Porsche entwickeltes Schnellbetankungssystem, doch die Mannschaft aus Maranello pflegte einen weitaus pragmatischeren Ansatz…
Immer wieder berichtet Norbert Singer in dieser Zusammenfassung seines Schaffens auch über die Zusammenarbeit zwischen Fahrern und Ingenieuren. Nicht zuletzt auch über die Zusammenarbeit mit dem selbsternannten, besten Testfahrer, den Porsche hatte – Singers seinerzeitigem Chef, Dr. Ernst Fuhrmann. Ohne zu viel vorwegnehmen zu wollen: Diese Anekdote ließ mich beim Lesen laut auflachen. Die Schilderungen Singers zum Ölthermometer in Fuhrmanns Porsche 911 allein sind das Buch wert.
Natürlich sind im Buch bekannte Geschichten, wie zum Beispiel die Story über die legendäre Boxentafel mit „Singer says slow“, oder die Entstehung der „Singerdelle“ zu finden. Doch in Norbert Singers Memoiren finden sich in schöner Regelmäßigkeit kleine Häppchen Porsche Trivia, die selbst wahre Kenner der Materie überraschen dürften. Seien es die Homologationsverhandlungen mit den Regelhütern, die Heckscheibe über der Scheibe, weil laut Reglement die originale Scheibe nur sichtbar sein musste, oder wie man mit Lippenstift einer Disqualifikation bei den 24h von Daytona entgeht. Auch wenn am Ende ein gewisser Dr. Dave Helmick gemeinsam mit John Graves und Hurley Haywood gewann…
Besonders detailliert geht Norbert Singer auch auf die Entwicklung der Technologie im Rennsport ein. So erhält man aus erster Hand einen Einblick in die technologischen Quantensprünge der frühen 80er. Beeindruckend, wie viele Neuheiten die Ingenieure dieser Epoche zum Renneinsatz brachten. Das heute allgegenwärtige Porsche Doppelkupplungsgetriebe wurde zum Beispiel bereits 1984 im 962 unter Rennbedingungen eingesetzt.
Norbert Singer hat mit Porsche alles erreicht. Unter seiner Ägide errang die Motorsportmannschaft allein 16 Gesamtsiege bei den 24h von Le Mans. Er zeichnete auch verantwortlich für die Aerodynamik des Porsche 956, der in den Gruppe C Langstreckenrennen der 80er fast nach Belieben dominierte. Man nennt ihn sogar gern Mr. Le Mans. Trotzdem sind Singers Schilderungen und auch seine Selbstreflektion von großer Bescheidenheit geprägt. So verwundert es nicht, dass Singer auch gescheiterte Entwicklungen und Renneinsätze direkt und auf den Punkt skizziert.
Diese Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit und Bescheidenheit scheint die großen Porsche Mitarbeiter dieser Zeit zu einen. Denn das Gleiche sagt man auch über Hans Mezger, Herbert Linge oder Valentin Schäffer. Deshalb fühlt man gerade bei den Schilderungen zum Indycar-Projekt Porsche 2708 mit Singer, wenn dieser über die politischen Strömungen berichtet, die das Projekt letztlich zum Scheitern brachten.
In Norbert Singer – Porsche Rennsport 1970-2004 wird auch die unheimlich vertrauensvolle Führungskultur der Firma Porsche sehr deutlich („Der Singer soll sich was einfallen lassen!“). Meist waren die Projekte auch von großem Erfolg gekrönt. Auch wenn nicht alles im ersten Anlauf geklappt hat, war Singers Siegquote als Renningenieur unglaublich hoch. Es sollte jedoch nicht vergessen werden, dass auch Straßenfahrzeuge seine Handschrift tragen. So entstand der Porsche Carrera GT letztlich aus den Überresten des leider gestoppten LMP 2000 Projektes 9R3.
Ein weiterer Punkt, der in dem Buch sehr deutlich wird, ist Singers Einstellung zum Motorsport. Seiner Ansicht nach hat der aktuelle Motorsport das vordringliche Problem, dass der Einsatz von Rennfahrzeugen für Privatteams kaum noch zu stemmen ist. Es ist sicherlich auch Singer zu verdanken, dass Porsche bis heute noch ein großes Augenmerk auf finanzierbaren Kundenmotorsport legt. Und dass Singers Mannschaft quasi nebenbei auch Vorschläge zur Verbesserung der Rennstreckensicherheit oder der Aerodynamik von Magnetschwebebahnen untersucht hat, ist heute kaum vorstellbar.
Wer sich für Porsches Rennsportgeschichte interessiert, der sollte dieses Buch gelesen haben. Punkt. Es vermittelt einem ganz klar, was es vor 50 Jahren bedeutet hat, sein Leben dem Motorsport zu verschreiben. Auch die Entbehrungen dieser Zeit werden nicht geschönt, sondern – typisch Porsche, typisch Singer eben – sachlich und effizient behandelt.
Dass das Buch in seiner schlichten Aufmachung weniger als dekoratives Element auf dem Coffee-Table geeignet ist, sondern vielmehr als Nachschlagewerk der Rennsportentwicklung taugt, passt dabei aber auch perfekt zu Norbert Singer. Sein Anspruch war immer, effizient zu arbeiten und messbare Ergebnisse zu erzielen. Dass die von ihm konstruierten Rennwagen auch eine wunderbare Eleganz ausstrahlen, ist dabei eher als Beiprodukt zu werten. Gemeinsam mit Wilfried Müller ist Singer mit diesem deutsch und englisch erhältlichen Werk ein absolutes Must-Have für die Bibliothek eines jeden Porsche Rennsportfans gelungen.
© Bilder: Porsche AG
Elferspot Magazin