Welche Bedeutung ein Auto für die Entwicklung einer Marke hat, lässt sich oft erst mit einigen Jahrzehnten Abstand richtig bewerten. Floppt eine Entwicklung, wird sie nicht weiterverfolgt. Verkauft sich ein Modell viel besser als erwartet, wird es für die Nachfolgegeneration direkt mit eingeplant. Ein limitiertes Sondermodell aus Porsches jüngster Vergangenheit beeinflusste sogar noch weit mehr und das binnen weniger Jahre. Die Rede ist vom Porsche 911 R. Ist der 500 PS starke, handgeschaltete Leichtbau-Elfer vielleicht sogar der bedeutsamste Porsche 911 des 21. Jahrhunderts?
Kaum zu glauben, aber wahr: 2013 präsentierte den Porsche 991 GT3 ausschließlich mit Doppelkupplungsgetriebe (PDK). Ein Aufschrei ging durch die Fanwelt. Schließlich war der GT3 doch bislang immer nur mit 6-Gang-Schaltgetriebe unterwegs. Was für Porsche der Weg in die Zukunft war, ließ die gern als „Gusseiserne“ bezeichneten Markenfans etwas ratlos zurück.
2016 war Porsches Facelift-911 mit dem internen Code 991.2 bereits am Markt. Sogar der 991.2 GT3 stand schon bei den Händlern – auf Wunsch auch wieder mit drei Pedalen. Doch im Sommer desselben Jahres brachte Porsche mit dem 911 R erneut ein Modell auf Basis der ersten Generation 991 heraus. Und dieser 911 R kreierte dabei eine völlig neue Gattung 911. Er basierte auf dem 991.1 GT3 RS, also dem schärfsten Skalpell der GT-Abteilung. Mit ihm teilte er sich auch den 500 PS starken Sechszylinder-Boxermotor mit vier Litern Hubraum. Allerdings hatte er einen ausfahrbaren Heckspoiler statt eines Heckflügels und ein manuelles Sechsgang-Schaltgetriebe.
Diese Kombination war aus mehreren Gesichtspunkten ungewöhnlich. Zum Einen gab es den 991 GT3 RS gar nicht mit manuellem Schaltgetriebe. Zum Anderen hatten bis dato alle 911 GT3 immer auch einen großen Heckflügel. Denn die in Weissach entwickelten Saugmotorsportler benötigten die Aerodynamik-Hilfe für mehr Abtrieb und schnellere Rundenzeiten.
Genau dort lag der Unterschied zwischen dem Entwicklungspaten 991 GT3 RS und dem neuen Porsche 911 R. Denn in der 911 R-Entwicklung spielten Rundenzeiten keine allzu große Rolle. Im Fokus stand einzig und allein der rohe, analoge Fahrspaß. Und damit läutete der Porsche 911 R rückblickend einen Paradigmenwechsel ein, der Porsches Modellpalette seitdem deutlich veränderte.
Zur Veröffentlichung des Porsche 911 R war allerdings nicht abzusehen, dass er neue Modelle mit ähnlichem Charakter vorwegnahm. Im Gegenteil, es ging das geflügelte Wort „der letzte seiner Art“ durch die Pressewelt. Viele Journalisten vermuteten, dass er möglicherweise sogar der letzte Elfer mit Saugmotor und Schaltgetriebe werden könnte. Denn zur Präsentation des 911 R waren die Carrera-Modelle des Facelifts 991.2 nurmehr mit turboaufgeladenen Motoren verfügbar.
Diese Befürchtungen äußerten sich in der Nachfrage zum 911 R. Während der Neupreis des auf 991 Stück limitierten Sondermodells bei unter 200.000 Euro lag, schossen die Preise auf dem Gebrauchtmarkt regelrecht in neue Sphären. Es dauerte nicht lang, da wechselten die ersten Porsche 911 R für eine halbe Million Euro den Halter. Sogar Inserate für über eine Million Euro tauchten auf, noch bevor das Auto überhaupt ausgeliefert wurde.
Die Entwicklungen rund um den 911 R und besonders seine Stilisierung als Spekulationsobjekt brachten Porsche zum Umdenken. 2017 präsentierten die Stuttgarter eine kostenfreie Sonderausstattung für den Porsche 991.2 GT3 mit dem Namen „Touring Paket“. Damit ausgestattete 911 GT3, im Volksmund 911 GT3 Touring genannt, hatten ein Sechsgang-Schaltgetriebe, das 4,0-Liter-Aggregat mit 500 PS und – wie die Carrera-Modelle – einen ausfahrbaren Spoiler. Klingt irgendwie vertraut, oder? Kein Wunder, denn der damalige Baureihen-Leiter des 911, August Achleitner, erklärte, dass dieses Modell auch deshalb entstand, weil Porsche den Spekulanten entgegentreten wollte.
Wir haben diese, sagen wir mal, verrückte Reaktion auf die Gebrauchtwagenpreise nicht erwartet. Denn manche Leute machen mit dem Auto nur Geld. Das gefällt uns nicht.
Damaliger 911-Baureihenleiter August Achleitner
Der Porsche 911 GT3 Touring erschien auch als eine Reaktion auf die Entwicklung der Gebrauchtpreise des 911 R. © Porsche
Im Gegensatz zum 911 R war der GT3 mit Touring Paket nicht limitiert. Zwar bot er nicht die gleichen technischen Finessen wie Carbon-Kotflügel, Dach aus Magnesium oder das Einmassenschwungrad des 911 R, dafür drehte sein Motor aber bis zu 9.000 U/min. Diese Grenze erreichte der 911 R nicht. Dessen Getriebe verwehrte Drehzahlen oberhalb von 8.500 U/min. Daher verzeiht man dem Touring seine 110 Kilogramm Mehrgewicht.
Der Kunstgriff des Touring Pakets eröffnete Porsche auch neue Käuferschichten. Denn mit dem 991 GT3 Touring hatte die GT-Abteilung erstmals ein Modell im Angebot, das nicht schon von weitem als solches zu erkennen war. Für Laien sieht der Touring nach gewöhnlichem Porsche 911 Carrera aus. Porsche-Fans mit Sinn für Understatement hatten also endlich die Möglichkeit, mit einem Porsche 911 GT3 zur Arbeit zu fahren, ohne Neider und Getuschel zu fürchten.
Mittlerweile ist der Touring aus der Modellpalette nicht mehr wegzudenken. Auch beim Nachfolger Porsche 992 GT3 ist ein Touring Paket lieferbar. Außerdem gingen die Preise des 911 R nach Präsentation des Porsche 991.2 GT3 Touring tatsächlich etwas zurück. Porsche schlug also zwei Fliegen mit einer Klappe. Außerdem fassten die Zuffenhausener Entscheider den Mut, künftig noch mehr Modelle mit Fokus auf Fahrspaß statt Rundenzeit zu bauen. Entwicklungen wie der Cayman GT4 RS mit 911 GT3 Motor und Carbon-Ansaugtrakt statt des hinteren Seitenfensters oder der geländegängige 911 Dakar wären ohne den Erfolg des 911 R vermutlich eher Machbarkeitsstudie statt Serienmodell geblieben.
Die hinzugewonnene Popularität des Porsche 911 GT3 bringt mittlerweile allerdings wieder ihre eigenen Problemchen. Zwar ist die Speerspitze der Saugmotor-Elfer nach wie vor regulär als Neuwagen zu bestellen, doch die Wartezeiten sind – sofern man überhaupt einen Slot bekommt – sehr lang. Deshalb werden Porsche 992 GT3 Touring abermals über Listenpreis gehandelt. Ob sich die Lage zeitnah entspannt, ist nicht abzusehen.
Doch Porsche ergänzte nicht nur die Produktpalette des 911 durch die Erfahrungen beim 911 R. Stattdessen führte Porsche umfassende Änderungen im Vertrieb ein, wie zum Beispiel die mittlerweile berüchtigte Sechs-Monats-Klausel. Dadurch verpflichteten sich Neuwagenkäufer gegenüber der Marke, das jeweilige Fahrzeug nicht vor Ablauf von sechs Monaten Haltedauer weiterzuverkaufen. Porsches Ziele dabei: Mehr Enthusiasten als Spekulanten in der Kundschaft. Die Autos sollen gefahren statt „geflippt“ werden.
Beim kürzlich präsentierten Porsche 911 S/T gingen die Zuffenhausener sogar noch einen Schritt weiter. Es wird zunächst überhaupt nicht möglich sein, eines der 1.963 Exemplare zu kaufen. Stattdessen offeriert Porsche ausschließlich die Option des Leasings für mindestens ein Jahr. Erst nach Ablauf dieses Vertrages besteht die Möglichkeit, das Fahrzeug auch zu kaufen. Somit sollen Spekulationen mit Porsches Fahrzeugen weiter eingedämmt werden.
Am Ende kam also alles anders. Der Porsche 911 R war nicht der letzte seiner Art. Im Gegenteil. Er führte dazu, dass Porsche heute noch mehr Modelle für Enthusiasten baut, als noch Mitte der 2010er. Und mutiger sind sie in Zuffenhausen geworden. Das beweisen zum Beispiel der Porsche 911 Dakar, der Cayman GT4 RS oder auch der 911 S/T.
Sie alle zeigen, dass der Verbrenner, trotz aller bevorstehenden regulatorischen Notwendigkeiten, nach wie vor das Rückgrat der Marke Porsche bildet. Und sie zeigen auch, dass Porsche Autos für die echten Enthusiasten baut, die mit ihren Fahrzeugen reale Abenteuer erleben, statt nur Renditen erwirtschaften zu wollen.
Es erforderte Mut, diese Schritte zu gehen. Denn während unter den Fürsprechern sicher viele sind, die sich nie einen neuen Porsche kaufen würden, hat Porsche so manchen zahlungskräftigen Kunden damit vor den Kopf gestoßen. Doch eins ist sicher: Ohne den Porsche 911 R hätte es diese Änderungen nie gegeben.
Elferspot Magazin