Der Porsche Carrera GT wird oft als bester analoger Supersportwagen bezeichnet. Ein Hochdrehzahlmotor mit zehn Zylindern, Kraftübertragung via manuellem 6-Gang Schaltgetriebe, erstes Serienfahrzeug mit Carbon-Monocoque… Aber Halt! Porsche hatte bis hier hin 4-, 6-, 8- oder auch 12-Zylinder Motoren gebaut. Einen V10 gab es in der Firmengeschichte weder vor, noch nach dem Carrera GT. V10 Motoren waren allerdings von 1989 bis 2005 die Norm in der Formel 1. Kann das Zufall sein? Wir gehen auf Spurensuche und müssen dabei gut 30 Jahre in die Zeit zurück reisen. Spoiler: Die Geschichte des Porsche Carrera GT ist alles andere als geradeaus.
Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre war die Formel 1 Weltmeisterschaft gespickt mit kleinen Teams. Durch die Vereinheitlichung des Motorenreglements der Gruppe C Prototypen mit der Formel 1 wurde in beiden Serien die neue 3,5 Liter Formel eingeführt. Jeder wollte dabei sein. Nach heutigen Maßstäben unvorstellbar: 1989 waren 20 Teams und 39 Fahrer in der Königsklasse eingeschrieben! Insgesamt waren sieben Motorenhersteller vertreten – Ferrari, Ford, Honda, Renault, Judd, Yamaha und Lamborghini. Ein Jahr darauf kamen noch Life und Subaru dazu. Im gleichen Jahr wurde das traditionsreiche Arrows-Team vom ambitionierten japanischen Geschäftsmann Wataru Ohashi gekauft. Das Footwork Arrows Team hatte große Ziele. Es sollte wieder um Podestplätze kämpfen.
Auch in Zuffenhausen wollte man nach den sehr erfolgreichen Jahren in der Turbo Ära mit McLaren und insgesamt 27 Siegen, drei Fahrer- und zwei Konstrukteurstiteln wieder zurück in die Königsklasse des Motorsports. Es wurde sich relativ schnell mit Footwork Arrows auf den Einsatz eines 3,5 Liter V12 Motors, den Porsche 3512, für das Jahr 1991 geeinigt. Den Motor entwickelte Hans Mezger unter großem Zeitdruck. Er griff dabei auf das Konzept der Zapfwelle des 12-Zylinder-Motors aus dem Porsche 917K zurück. Im Grundaufbau handelte es sich um zwei verbundene 80° V6 Motoren. Der Motor wurde deshalb sehr schwer und sehr komplex. Er wog 40 Kilo mehr als Ferraris V12 und war um einige Pferdchen (je nach Quelle bis zu 50 PS) schwächer.
Die Kombination aus Footwork Arrows und Porsche war daher nur wenig konkurrenzfähig. Weder Michele Alboreto, noch Alex Caffi oder Stefan Johansson konnten mit dem Auto ein Rennen auch nur beenden. Zweimal schaffte kein Footwork Arrows Porsche überhaupt die Qualifikation in das 26er Starterfeld. Und wenn die Rennteilnahme doch mal gesichert war, machten Öldruckprobleme und Getriebeschäden einen Strich durch die Rechnung. Nach nur sechs Rennen war Schluss für die Liaison. Arrows griff ab dem Grand Prix von Frankreich bis zum Saisonende auf den Ford DFR V8 zurück. Kurz vor dem Grand Prix von Japan zog sich Porsche offiziell aus der Formel 1 zurück.
Porsches damaliger Motorsportchef Manfred Jantke verkündete kurz vor dem offiziellen Rückzug, dass die Zuffenhausener 1993 möglicherweise mit einem neu entwickelten V10 dabei sind. Notfalls mit einem anderen Partner. Auf jeden Fall sollte Porsche der Formel 1 erhalten bleiben. Die Entwicklung des Aggregats wurde also weitergeführt. Ein 3,5 Liter V10-Motor war quasi fix und fertig verfügbar. Verhandlungen wurden vermeintlich auch mit dem Team von Peter Sauber geführt, allerdings ohne Erfolg. Sauber wurde ab 1993 von Mercedes unterstützt. Bis heute gab es kein Formel 1 Engagement aus Zuffenhausen mehr.
Die Geschichte des Porsche Carrera GT machte danach einen weiteren Schlenker. Wir müssen dazu nach Nordfrankreich abbiegen. Genauer gesagt nach Le Mans. 1996 und 1997 gewannen die vom privaten Joest Team eingesetzten LMP mit Porsche Motoren das 24h Rennen an der Sarthe. Die Werksmannschaft im Porsche 911 GT1 brauchte jedoch drei Anläufe, um zu siegen. Wegen Zuverlässigkeitsproblemen der Konkurrenz holte der Porsche 911 GT1 1998 den Gesamtsieg. Doch der Lebenszyklus des GT1 war am Ende. Es kamen Zweifel ob seiner Konkurrenzfähigkeit auf. Bei Porsche mehrten sich Stimmen, die den 911 GT1 durch einen echten Le Mans Prototypen, kurz LMP ersetzen wollten.
Klammheimlich machte sich eine Truppe um Norbert Singer und Wiet Huidekoper an die Entwicklung eines Rennautos nach LMP Reglement. Die Idee des Porsche 9R3, oder auch LMP2000 war geboren. Zunächst war ein klassischer 6-Zylinder Boxermotor mit Turboaufladung vorgesehen. Huidekoper sagte im Racecar Engineering Interview über die damalige Zeit: „Wenn Blicke töten könnten, wäre ich nicht mehr hier, weil ich gemeint habe, dass der Boxermotor die Achillesferse des Designs ist“, so der holländische Carbon-Spezialist. Die Einschätzung zeigte Wirkung und das Projekt wurde Ende ’98 eingestellt. Bis 2018 wurde die Entwicklung dieses Fahrzeugs von Porsche übrigens immer wieder dementiert.
Verglichen mit einem V8 Saugmotor hatte der Sechszylinder Boxer-Turbomotor einen konzeptionell großen Nachteil: Das Gewicht. Bei gleicher Leistung war ein großvolumiger Saugmotor 30-40 Kilo leichter.
Im März 1999 erinnerte Porsche sich an die kurze Romanze mit Footwork Arrows. Ein neuer Anlauf zur LMP Klasse mit dem alten V10 Motor wurde initiiert. Der Hubraum wurde von 3,5 auf 5 Liter angehoben, mit der Option auf 5,5 Liter erweitert zu werden. Ein neues Getriebe wurde entwickelt und in Kooperation mit Lola ein Carbon Monocoque produziert. Nach Fertigstellung Mitte ’99 testeten Bob Wollek und Allan McNish das Auto streng geheim in Weissach. Der Test verlief dem Vernehmen nach sehr positiv. Doch abermals zog Porsche den Stecker und legte das LMP2000 Projekt auf Eis. Selbst Projektleiter Norbert Singer wurde instruiert, seine Existenz zu leugnen. Häufig ist die Rede davon, dass zugunsten der Entwicklung des Cayennes kein teures Le Mans Projekt gefahren werden sollte. Doch der V10 sollte schon bald wieder in den Gedanken der Entwicklungsabteilung aufkreuzen.
Wir bleiben in Frankreich und blicken nach Paris. Zur Jahrtausendwende wollte Porsche das eigene Image etwas aufpolieren. Das gelang mit einem Knalleffekt. Auf dem Pariser Autosalon 2000 präsentierte Porsche das Carrera GT Concept. Eine Studie mit Kohlefaser-Monocoque und Mittelmotor. Unter der Haube war der 5,5 Liter V10 des LMP Projekts zu finden. Das Interesse am Zuffenhausener Supersportwagen war gewaltig. Und als dann auch noch die Vorbestellungen für den Cayenne recht positiv ausfielen, entschied Porsche, den Carrera GT zur Serienreife zu entwickeln.
Der Porsche Carrera GT sollte das erste Serienfahrzeug der Welt mit Kohlefaser Monocoque werden. Der Hubraum des für die Formel 1 konstruierten und für Le Mans weiterentwickelten Aggregats wurde nochmals erhöht, auf nunmehr 5,7 Liter. Auch das Getriebe war kein sequentielles mehr, sondern wich einem 6-Gang Schaltgetriebe mit extrem leichter Keramik-Kupplung. Dieser fast schon obszöne Werkstoffexzess gipfelte in einem aus heutiger Sicht phänomenalen Gewicht von nur 1.380 Kilo.
Porsche setzte mit dem Carrera GT ein fahraktives Denkmal, ein bis heute unerreichtes Statement. Er gilt zurecht als letzter analoger Supersportwagen. Doch nicht nur das Auto selbst, sondern auch seine Geschichte bleiben einzigartig. Der Motor wurde quasi als Fingerübung der Motorsportabteilung fertiggestellt und wartete letztlich fast genau 10 Jahre auf einen Einsatz. Und außer dem Ferrari F50 gab es nie ein Serienfahrzeug, dessen Antriebsstrang so eng mit der Königsklasse des Motorsports verbunden war. Schon schade, dass es so etwas heute nicht mehr gibt. Doch wer weiß, vielleicht erleben wir 2026 ja doch einen Wiedereinstieg Porsches in der Königsklasse? Man wird ja noch träumen dürfen!
Titelbild: David Fierlinger
Elferspot Magazin